Studieren mit Kind

„Kaum ist Licht am Ende des Tunnels angesichts der Pandemie, werden unsere Kitas von den offensichtlichen Schwächen im Neue-Kita-Gesetz überrollt: Uns fehlen Personal, gute Prozesse, Struktur und Planungssicherheit…“
Marcel Schmitt
Leiter Abteilung Kita

Marcel Schmitt leitet seit 2020 als Trägerbeauftragter alle Kitas des Studierendenwerks Vorderpfalz in Landau, Ludwigshafen und Worms. Insgesamt 142 Kinder in acht Kita-Gruppen werden aktuell vom Studierendenwerk betreut. In altersgemischten Gruppen von 0 Jahren bis zum Schuleintritt sorgt unser 55-köpfiges Team für einen möglichst guten Start der Kinder in ihre Bildungskarriere und in ihr soziales Leben. Und das direkt auf dem Campus.

Herr Schmitt, wie wichtig ist die Kita für ein Studium?
Aus Sicht einer familienfreundlichen Hochschule sind Kitas extrem wichtig, um den Studierenden einen Alltag zu ermöglichen, der ein Studium erst denkbar macht. Die Doppelbelastung Kind und Studium ist sehr groß. Ohne Kita sind studierende Eltern akut von einem Studienabbruch bedroht. Wir bieten Eltern die Möglichkeit und die Freiheit an, sich ihrem Studium zu widmen, wissend, dass ihre Kinder campusnah bei uns in guten Händen sind.

Sind die Kitas des Studierendenwerks vollständig belegt?
Alle unsere Kita-Plätze sind im Sinne des neuen Kita-Gesetzes belegt. Es kommt allerdings zu einem erzwungenen Freihalten der Plätze im Ü2-Bereich für die Kinder, die unterjährig das zweite Lebensjahr vollenden. Sie müssen freigehalten werden, damit im Ü2-Bereich nicht über die genehmigten Plätze der Betriebserlaubnis hinaus überbelegt wird. Unsere Wartelisten auf einen Platz sind zudem voll. Nur wenn einzelne Kinder nach ihrer Anmeldung bis zum Beginn des Kindergartenjahres noch einen anderen Platz finden, wird etwas frei. Leider hapert es durch die aktuelle Gesetzgebung extrem mit der Planbarkeit bei der Belegung unserer Plätze: Wir haben genug Kinder auf der Warteliste, aber nach dem neuen Kita-Gesetz kann der Bedarf der Eltern mit der Betriebserlaubnis nicht immer abgedeckt werden.

Warum ist das so?
Unsere Betriebserlaubnis ist seit Juli 2021 an den richtigen Mix aus U2-Kindern und Ü2-Kindern gebunden und dem damit verbundenen Betreuungsschlüssel (U2 = 0,263 Stellen pro Kind, Ü2 = 0,1 Stellen pro Kind). Da Kinder aber nicht entlang dem gesetzlichen Betreuungsschlüssel geboren werden, müssen wir jedes Jahr wieder neu jonglieren, damit wir die Voraussetzungen für unsere Betriebserlaubnis erfüllen können. Ansonsten müssten wir das Team jährlich reduzieren oder verstärken. Auch Geschwisterkinder müssen dann eventuell abgelehnt werden, weil sie nicht das richtige Geburtsdatum haben. Für Eltern und unsere Personalplanung gleichermaßen ein absoluter Alptraum...

Wie lange wartet man auf einen Kita-Platz?
Das kann unter Umständen schon das eine oder andere Semester lang dauern, leider. Wir planen die Belegung der Kitas im Frühjahr und geben dann die Zu- und Absagen raus. Eine genaue Wartedauer ist aber noch nicht absehbar, weil sich das neue Belegungs-System des „Neue-Kita-Gesetzes“ noch nicht eingespielt hat.
Wir haben auf jeden Fall weit mehr Bewerber:innen als Kita-Plätze, können den Eltern also keine Verlässlichkeit anbieten oder nur sehr spät im Jahr. In aller Regel haben die Eltern dann natürlich auch schon Kita-Alternativen geprüft. Wir halten alle Eltern an, mehrgleisig bei ihrer Bewerbung zu fahren, wenn sie am Ende nicht mit leeren Händen dastehen wollen. Es ist also durch die aktuellen Regularien eine sehr hohe Volatilität in den Bewerbungen und müssen viele Bewerbungen doppelt und dreifach angefasst werden. Wir informieren unsere Eltern so früh wie möglich, müssen aber natürlich immer auf den richtigen Mix aus U2 und Ü2-Plätzen warten.

Wie ist das Studierendenwerk mit Corona umgegangen?
Anders als in anderen Bereichen und bis auf kurze Zeiten des Lock-Downs auch bei uns, waren unsere Kitas immer am Start. Trotz Pandemie, trotz Kurzarbeit in vielen Branchen, trotz gesundheitlicher Risiken für unsere Mitarbeiter:innen: Die absolute Systemrelevanz von Kitas hat sich mehr als deutlich gezeigt. Ohne offene Kitas in Krisenzeiten hätte es um die deutsche Wirtschaft sehr viel schlechter ausgesehen. Natürlich haben wir alles getan, was vom Gesetz gefordert wurde, um Kinder, Personal und Eltern zu schützen. Die Kolleg:innen haben das bravurös gemeistert. Wir standen auch immer im engen Austausch mit dem Gesundheitsamt. Allerdings war es recht schwierig, konkrete Maßnahmen im positiven Corona-Test-Fall umzusetzen, weil die jeweils gültigen Corona-Verordnungen sehr oft nicht der Handlungsanweisung unserer zuständigen Gesundheitsämter entsprochen haben. Mit diesem Handlungsdelta war sehr schwer umzugehen und es wurde große Unsicherheit und Verwirrung im Team hervorgerufen. Wir haben – da die Handlungsanweisungen der Gesundheitsämter über den Handlungsanweisungen des Landes stehen – daher letzten Endes im Zweifelsfall immer die aktuellen Anweisungen unseres jeweiligen Gesundheitsamtes umgesetzt.

Was war in dieser Zeit gut, was war schwer?
Schwierig war für uns das überlastete Gesundheitsamt. Wir mussten recht oft noch Abendgespräche führen, um überhaupt ein Statement zu erhalten. Den richtigen Weg durch die Pandemie zu finden – keine Kritik an den personell nicht ausreichend ausgestatteten Gesundheitsämtern – war also schwierig und mit vielen internen Diskussionen verbunden. Auch die Tatsache, dass Regularien innerhalb kürzester Zeit geändert wurden und mitunter heute falsch war, was gestern noch richtig war, hat enorme Ressourcen gebunden. Man musste ja immer auf dem aktuell gültigen Stand sein.
Stolz sind wir darauf, dass wir trotz einer ganzen Republik in Kurzarbeit unsere Kitas niemals komplett schließen mussten. Zwar gab es einzelne, gesetzlich vorgeschriebene Schließungen durch Corona-Fälle. Aber im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten waren unsere Kitas immer offen. Glücklicherweise sind sowohl alle Kinder als auch alle Erzieher:innen ohne schwere Folgen durch die Pandemie gekommen. Ich muss meinem Team den größten Respekt aussprechen, wie sie alle diese schwierige Zeit gemeistert haben. Eine größere berufliche Herausforderung als die letzten zwei Jahre gibt es nicht. Und wir haben das als Team sehr gut gemacht. Mein Dank dafür.

Das erste halbe Jahr mit dem „Neuen Kitagesetz“ ist um. Was denken Sie darüber?
Ab dem 01.07.2021 sind ja alle unsere Kitas zur Umsetzung des neuen Kita-Gesetzes verpflichtet. Und je mehr ich mich mit den Untiefen der neuen Regelung auseinandersetze, desto mehr verfestigt sich in mir das Statement: Gut gedacht – schlecht gemacht!
Ich will hier gar nicht näher darauf eingehen, denn wir haben das bereits ganz offiziell gegenüber dem zuständigen Ministerium – Frau Hubig – getan. Unser Arbeitspapier dazu kann man sich hier herunterladen. Ganz klar, dass eine neue Regelung mitunter noch nachgeschärft werden muss, aber dem Neuen Kita-Gesetz muss man – wenn man die tägliche Praxis sieht – die Produktreife absprechen. Es hätte so aus unserer Sicht nie implementiert werden dürfen.

Das klingt nach Kampf und auch ein wenig nach Krampf? Wo hapert es denn sonst noch?
Eine kleine Problem-Liste habe ich da schon noch, will jetzt aber nicht den Eindruck des Nörglers erwecken. Aber ich denke, da müssen wir alle gemeinsam ran, wenn das zukünftig funktionieren soll.
  • Ein 'Problemkind' ist zum Beispiel die „KiDz-Software“ mit unserer Meldepflicht an die Jugendämter. Diese Plattform funktioniert Stand jetzt noch nicht. Auch die Kommunikation mit den Software-Betreibern ist eher schwierig, denn es gibt keinen Generalunternehmer bei der Software. Wir müssen uns teilweise auf abenteuerliche Kommunikationsprozesse einlassen, um das zu erfüllen, was das Land eigentlich von uns will.
  • Auch das Thema Betriebserlaubnisse macht mir Sorgen. Unsere Anträge sind gestellt und genehmigt. Jedoch ist durch die pro-Kopf-Belegung der Kinder in die Altersgruppen U2 und Ü2 und der Stichtagsregelung 31.5. des Jahres (Überprüfung der Alterskohorten zu diesem Zeitpunkt) die Konsistenz der Betriebserlaubnis in jedem Jahr erneut in Gefahr. Stimmen die Belegungszahlen nicht und liegen unter der Beleggrenze kann es zu einer Anpassung der Betriebserlaubnis führen, die Personalkürzungen nach sich ziehen kann. Mein Problem dadurch ist: ich weiß nicht, wie sicher die Arbeitsplätze sind und ob ich genehmigtes Personal dann auch zum unbefristeten Stammpersonal machen kann? Kann ich meine Arbeitsverträge unbefristet machen oder befristet? Hierzu sind die Aussagen des Landes eher schwammig.
  • Die Problematik ist: Vorher gab es bei der Betriebserlaubnis eine Gruppenbetrachtung, jetzt dahingeben eine Kind-Betrachtung, aufgeteilt in Kinder in U2 und Ü2. Gelingt es uns nicht, den korrekten Kinderschlüssel bei der Belegung zum Mai des Jahres vorzulegen, droht uns nach drei Jahren Unterschreitung eine Anpassung der Betriebserlaubnis (20% Minus werden in der ersten Zeit toleriert, später dann wird ab 8 Prozent Unterschreitung die Betriebserlaubnis und damit auch das Personal angepasst). Das macht den Bewerbungsprozess für Eltern und Träger nicht eben einfach und die Aufnahme von Geschwisterkindern in den allermeisten Fällen unmöglich. In der Folge können wir fast nur noch befristete Arbeitsverträge vergeben. Unsere Mitarbeiter:innen sagen immer öfter: "Wenn das jetzt nicht besser wird, dann gehen wir". Wollen wir unser gutes Team also halten, müssen wir ins Risiko gehen. Das Land hat die Verantwortung auf die Träger abgewälzt und Erzieher:innen wandern – vollkommen verständlich – in andere Berufe ab. Der Arbeitsmarkt für Erzieher:innen war noch nie gut in den letzten Jahren, aber jetzt droht er katastrophal zu werden. Betreuungseinschränkungen und Teil-Schließungen sind nur eine Frage der Zeit.
  • Wir brauchen viel mehr Planungssicherheit und kein Abrutschen in prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Sonst werden sich der Fachkräftemangel und auch die Fehlzeiten noch weiter verschärfen.
  • Auch ein einheitliches bürokratisches Arbeiten der Jugendämter an allen unseren Standorten und ein einheitliches Refinanzierungs- und Strukturkonzept wären wünschenswert und dringend notwendig.

Wo ist es denn gut?
Die neuen Öffnungszeiten können mehr auf die Wünsche der Eltern eingehen. Das muss man positiv bewerten. Die Kita als Serviceeinrichtung kann so mehr auf die Lebensrealität der Eltern zugeschnitten werden.
Das hat aber leider Grenzen: Eine Kita - zum Beispiel - die keine Küche hat für 120 Kinder, kann dem Wunsch der Eltern nach Ganztagesbetreuung gesetzlich nicht nachkommen.
Unsere Kita-Struktur ist glücklicherweise dafür ausgelegt, auch mehr Kinder mit Mittagessen zu versorgen. Das ist aber längst nicht in allen Kitas der Fall.

Wo muss am dringendsten nachgebessert werden?
Beim Personal, Personal, Personal. Und, es muss ein Leitungsdeputat her. Heißt: Leitungen von Kitas müssen freigestellt werden, weil der Verwaltungsaufwand und auch der pädagogische Anspruch immens gestiegen ist.
Im Bereich Kita wird immer wieder von der Professionalisierung der Teams gesprochen. Das halte ich für den richtigen Weg. Allerdings gibt es überhaupt keine Anreize für das Personal, sich zu professionalisieren. Eine Höherqualifizierung wirkt sich auf dem Lohnzettel überhaupt nicht aus. Wenn man von Seiten des Gesetzgebers mehr fordert, dann müssen auch die Gehälter steigen. Im Bereich Kita meiner Meinung nach übrigens beträchtlich. Ich finde es mitunter unerträglich, dass man als ungelernter Arbeiter am Band in der Automobilindustrie mehr verdient, als wenn man sich um unsere Kinder kümmert. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Fehlentwicklung und ich habe die Hoffnung, dass eine neue Bundesregierung diese Diskrepanz endlich angeht. Es wäre an der Zeit…

Wenn ich einen Zauberstab hätte, was würden Sie sich für ihre Kitas wünschen?
Dass man den Erzieher:innen-Beruf attraktiver macht. Klar, wir müssen auch noch unsere Prozesse in den Kitas verbessern, aber da sind wir auf einem sehr guten Weg. Die ständige Arbeit über die Belastungsgrenze hinaus bringt viele der Kolleg*innen an den Rand der Leistungsfähigkeit. Der Krankenstand wird immer höher und damit auch der Betreuungsausfall. Wir laufen am Limit und personalbedingte Schließungen werden immer wahrscheinlicher. Das kann und darf nicht die Richtung sein, in die wir uns entwickeln. Ich führe Gespräche in dieser Richtung in meinem Team und im Netzwerk beinah täglich.
Ich will das hier noch einmal ganz plakativ sagen: Die Kinder, denen in der Kita nicht die notwendige Förderung zukommt, werden auch auf ihrem weiteren Bildungsweg große Probleme bekommen. Der Übergang zwischen Kita und Schule ist eh schon desolat, weil man zu wenig Zeit hat für Angebote für die Vorschulkinder.
Kleine Probleme in der frühkindlichen Bildung gehen eben nicht immer von alleine weg, sondern werden recht oft große und – volkswirtschaftlich – teure Probleme. Mein Wunsch ist also: Eine deutliche Investition in Kitas und deren Personal ist die beste Sparmaßnahme, die es gibt.

Wie systemrelevant sind Kitas und wird ihre Wertschätzung dieser Relevanz gerecht?
Kitas sind elementar wichtig. Ohne Kita keine funktionierende Wirtschaft, wie wir seit der Pandemie wissen. Ohne Kita keine gelingenden Bildungskarrieren. Noch wichtiger geht fast gar nicht.
Kitas sind erste Begegnungsorte mit der Welt und ein Grundstein einer funktionierenden Sozialisierung. Wir haben niemals eine zweite Chance für den Beginn einer gelungenen Bildungskarriere. Und in der frühkindlichen Bildung sind Fehlentwicklungen noch einfacher zu verhindern, als mit dem Eintritt in die Schullaufbahn. Dieser großen gesellschaftlichen Relevanz wird das System Kita gegenwärtig leider in keinster Weise gerecht.

Wie sieht ihre Prognose für die Zukunft aus?
Wir sind als Studierendenwerk gut aufgestellt, wünschen uns aber – wie oben thematisiert – noch einige zentrale Anpassungen. Wenn hier nicht deutliche, politische Signale gesendet werden und bei den Kitas endlich ein gesundes Arbeitsumfeld im Vordergrund steht, wird das System Kita – eher früher als später – an seine Grenzen stoßen und frühkindliche Bildung auf der Strecke bleiben. Wir wünschen uns einen effektiveren, direkteren und praxisorientierteren Dialog mit der Politik und, dass wir endlich ernst genommen und angemessen wertgeschätzt werden. Die Zeit der warmen Worte sind meines Erachtens dabei vorbei. Jetzt müssen konkrete Lösungen her, die zukunftsfähig und nachhaltig sind.

Ihr Ansprechpartner für den Bereich
Marcel Schmitt
Leiter Abteilung Kita
Xylanderstraße 17
76829 Landau
Tel.: +49 6341 9179 190
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